Nachdem 52 Tage vergangen sind, seit ich österreichischen Boden verlassen habe, wird es Zeit für den nächsten Bericht…

„Wir sind Austauschschüler. Alles ist möglich“

Das hat ein Austauschschüler bei unserem Vorbereitungscamp in Österreich gesagt, als man ihn gefragt hat warum er bitte drei Handys mithabe. Ich habe in letzter Zeit ab und zu daran gedacht, weil einige Sachen passieren, die ( wenn man so darüber nachdenkt) wirklich unwahrscheinlich sind…

Mir geht´s gut. Ich habe das Gefühl, dass ich enorm viel in wahnsinnig kurzer Zeit lerne und ich fühle mich einerseits, als würde ich ziemlich viel verstehen und andererseits fühle ich mich ein bisschen verloren. Aber im Großen und Ganzen geht es mir gut. Meine Familie ist lieb, meine Klassenkameraden reden viel mit mir, das Essen passt und mit dem Wetter komme ich auch zurecht. Das Heimweh ist ebenfalls vorüber. (Auf jeden Fall diese Extremform, die ich hier kennengelernt habe.) Und all die Sachen, die mir anfangs unverständlich waren, normalisieren sich.Ich könnte gar nicht sagen, was ich alles erlebt und gelernt habe, weil es viel zu viel ist, als dass man es verständlich erklären könnte. Eine Woche kann sich anfühlen, als wäre ein Vierteljahr vergangen und die unrealistischsten Wünsche gehen in Erfüllung.
Mein Russisch soll außerdem auch schon viel besser geworden sein.

Orientation-Session. Die erste Phase geht vorüber.

Letzte Woche hatten wir auch schon unsere erste AFS-Orientation-Session, wo sich das AFS-Volk aus der Umgebung Moskaus versammelt und drei Tage in Klimovsk verbracht hat. Man sagt, es gibt gewisse Phasen die (beinahe) jeder Austauschschüler durchmacht. (Oder generell jeder, der fremd in einem unbekannten Land ist.) Deswegen hatten wir die Session, um alles ein bisschen mit Abstand zu betrachten und gemeinsam Zeit zu verbringen. Das heißt wir haben auch viel gemacht, was einfach die Zeit vertrieben hat oder Russisch pur war. (Volkstänze, traditionelle Malereien, …)

Blogbeitrag „Wir sind Austauschschüler. Alles ist möglich“

Für mich persönlich war das sehr wichtig. Überhaupt scheint mir, ich kann sehr gut von anderen Austauschschülern lernen. Einfach wenn man sieht was sie anders machen.
Die Unterkunft für die drei Tage in Klimovsk hatten wir bei anderen Gastfamilien, was vielen erst einmal sehr komisch vorkam. Wir haben uns doch alle erst in unseren neuen Familien eingelebt! Aber es stellte sich als gar nicht so schlecht heraus. Für mich persönlich jedenfalls nicht. Ich habe es sehr gut mit meiner zweiten Gastfamilie erwischt und sie sind auch noch mit einer anderen Familie sehr gut befreundet, welche ebenfalls eine Gastschülerin für die drei Tage aufgenommen hat. Also haben wir unsere Freizeit beinahe durchgehend zusammen verbracht und am Ende wurde ich von Teilen beider Familien zum Bahnhof gebracht. Sie haben auch gleich gemeint, wir sollten uns auf jeden Fall alle nochmal treffen und falls es mit meiner jetzigen Gastfamilie in Klin schlecht laufen sollte, soll ich ihnen Bescheid geben.

Aber ich glaube das wird nicht notwendig sein. Mit meiner Familie in Klin läuft es gut. Wir sind insgesamt sieben, wenn man den Kater mitrechnet, der übrigens den einfallsreichen Namen „Kotja“ trägt, was soviel wie: „Katerlein“ heißt. Anfangs hat es für mich eine Umstellung bedeutet, dass wir so viele sind. Außerdem kam es unerwartet. (Ich hätte nämlich nicht gedacht, dass mir sowas auch nur in irgendeiner Weise etwas ausmachen könnte.) Aber ich musste mich erst einmal daran gewöhnen, dass ich so gut wie nie alleine Zuhause bin und dass der beste Rückzugsort bei uns im Haus oft das Badezimmer ist. Aber inzwischen habe ich mich daran gewöhnt und es gefällt mir wirklich.

Schule, Waffen und Essen

 

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Wie ich bereits erwähnt habe, geht es mir in meiner Klasse gut. Ich gehe in die 9. Schulstufe. Aber da man in Russland mit sieben Jahren eingestuft wird und insgesamt nur elf Jahre in die Schule geht, sind sie mit dem Stoff ungefähr auf demselben Niveau, wie bei uns in Österreich und meine Mitschüler und Mitschülerinnen sind in meinem Alter. Abgesehen davon, ist die Schule allerdings ziemlich anders als bei uns in Österreich. (Auf den ersten Blick zumindest.)
Erstens einmal haben wir eine Schuluniform, von der ich meine Zeit gebraucht habe, um sie zu verstehen. Wir tragen nicht alle exakt das Gleiche, dadurch hat man eine gewisse Freiheit mit dem was man anzieht. Allerdings kam mir der Dresscode die erste Zeit über ernsthaft, schlicht und ergreifend willkürlich vor: (Wir müssen übrigens unsere Schuhe wechseln, wenn wir die Schule betreten, damit wir den Dreck nicht reinziehen und uns im Winter nicht heiß in den Stiefeln wird.) Warum ist Rauleder denn nur für draußen und dunkle Halbstiefel ebenfalls, aber neonfarbene Turnschuhe bei unserer schwarz-weißen Uniform erlaubt? (Um nur ein Beispiel zu nennen, dass ich jetzt immer noch nicht verstehe.)
Ansonsten gibt es auch noch einige Unterschiede. Wir haben zum Beispiel keine fixen Klassen. Wir gehen zu den Klassen der jeweiligen Schulfächer oder Lehrer und Lehrerinnen. (Meistens sind es Lehrerinnen. Ich weiß nicht wieso, aber ich habe in meiner ganzen Schule insgesamt um die vier männliche Lehrer gesehen.)

Übrigens haben wir auch O.B.SCHE. Dieses Schulfach gibt es wirklich und jeder hat es. Die Abkürzung steht für: Grundlagen eines gefahrlosen Lebens. Also alles was du machst, falls ein Krieg oder dergleichen ausbricht. Von Erste Hilfe über Theorie: „Wie definiert man eine Terrororganisation“ bis hin zu „Wie baue ich ein Gewehr zusammen und auseinander“. Ab und zu verbringe ich meine Pausen damit in die Klasse von einem O.B.SCH.- und Werklehrer zu gehen. Der Raum ist immer voll mit Schülern und Schülerinnen, die in den Pausen weiterarbeiten, plaudern oder im Kammerl dahinter Tee trinken und Kekse essen.

Hier habe ich übrigens schon gelernt, wie man eine Kalaschnikow auseinander- und zusammenbaut, auch wenn ich mich noch ein bisschen ungeschickt anstelle. Hier gibt es sogar Wettbewerbe, wer ein Gewehr am schnellsten auseinandernehmen kann. Der O.B.SCHE-Lehrer meint, die Schnellsten schaffen es in 30-40 Sekunden. Zwei Zehntklässler haben mir auch schon Tipps gegeben, wie es schneller und angenehmer geht. (Aber um die Kirche im Dorf zu lassen: Es ist ungefähr genauso spannend, wie eine Nähmaschine zusammenzubauen und sie habe das Fach nur eine Stunde in der Woche.)

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Fazit: Abgesehen von der Tatsache, dass Russland übertrieben groß ist, wäre das noch ein Grund, sich mit Russland NICHT militärisch anzulegen.
Und ich bezweifle, dass es in Österreich funktionieren würde, dass die älteren Klassen ab und zu eine Stunde früher in die Schule kommen müssen und dann ein Teil eine halbe Stunde im Eingang steht und jeden Schüler begrüßt, ein anderer Teil die Jacken in der Garderobe aufhängt und der Rest Gangaufsicht halten muss und sie einem wirklich sagen würden, dass die Schuluniform nicht richtig ist.
Übrigens essen wir alle in der Schulkantine und in dem Saal soll man im Winter angeblich seinen Atem sehen können.

 

Wetter… Schnee und nochmals Essen

 

Blogbeitrag „Wir sind Austauschschüler. Alles ist möglich“

Das Wetter in Russland weist von Zeit zu Zeit sehr starke Temperaturunterschiede auf. Es hat EXTREM schnell abgekühlt! Und zwar so schnell, dass ich mich kleidungsmäßig nicht darauf einstellen konnte. In der einen Woche sind wir mit kurzärmeligen T-Shirts durch die Stadt gelaufen und zwei Wochen später war mir mit meiner Herbstjacke so kalt, dass ich mir dachte, ich würde nie wieder mit einem kurzärmeligen T-Shirt herumlaufen. An dem Tag hat es, glaube ich, über Nacht von 15°C auf 8°C abgekühlt und wir hatten plötzlich einen eisigen Wind.

Ich brauche ungefähr fünf Minuten von der Schule nach Hause und danach hatte ich das Gefühl ein echt hartes, sportliches Training hinter mir zu haben. Ich bin nach Hause gekommen und war das erste Mal hier in Russland richtig hungrig. Die Leute geben einem meistens nämlich ziemlich viel zu essen. Heute hat eine Klassenkameradin wieder zu mir gesagt, dass man hier viel essen muss, weil man viele Kalorien braucht. Einfach als Antwort, nachdem ich gesagt habe, ich hätte schon in der letzten Pause gegessen. Das würde auch erklären wieso das Essen hier so deftig ist…. Als Anmerkung muss ich aber sagen, dass die Leute hier größtenteils nicht dick sind.
Jetzt hat es um die 0 Grad. Es gab auch schon die ersten Anzeichen von Schnee. (Also Vorurteil „In Russland ist es kalt“, kann ich von Klin aus bestätigen. Obwohl es angeblich jede Vegetationsform in Russland gibt, weil es so groß ist.)

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Tschüss und liebe Grüße,

Julia