Ich bin nun schon  drei  Wochen in Argentinien. Und mittlerweile habe ich mich auch so ziemlich eingewöhnt – das war aber gar nicht so einfach, wie ich es mir vorgestellt hatte. Kulturschock – ein Wort, mit dem man in den Vorbereitungscamps mehrmals konfrontiert wird. Ich habe immer geglaubt, das passiert einem nur, wenn man zu wenig offen für neue Kulturen ist und die Unterschiede wertet – Deshalb war ich mir ziemlich sicher, dass mir sowas nicht passieren würde. Tja. Falsch gedacht.

„You’ve got 12 hours.“

Meine Reise dauerte insgesamt 48 Stunden  – das wusste ich vorher jedoch noch nicht. Ich rechnete mit 16 Flugstunden und die vergingen recht schnell und angenehm. Als wir dann um ca. 8 Uhr morgens (wir flogen über Nacht) in Buenos Aires am Flughafen ankamen, freute ich mich schon, bald meine Gastfamilie kennenzulernen. Wir trafen dort auf AFS-Freiwillige und eine Gruppe von Austauschschülern aus anderen Ländern. Als einer der Freiwilligen mich auf seiner Liste abgehakt hatte, meinte er: „Sit down. You’ve got 12 hours.“Ich hab dann erstmal höflich über seinen Witz gelacht und mich zu den anderen auf den Boden gesetzt. Und wir warteten. Und warteten. Und warteten. Irgendwann stellte sich heraus, das das kein Witz war. Der Bus zu meiner Gastfamilie fuhr um 22 Uhr – und die Fahrt würde 9 Stunden dauern.

Ich bin ein Mensch, der es gewöhnt ist, dauernd unter Stress zu stehen und jede Minute auszunützen, um irgendwelche Sachen unterzubringen. Ich glaube, ich habe noch nie in meinem Leben 12 Stunden lang nichts getan – wirklich

Anja in Argentinien
Eine andere AFSerin im Bus-Bett

nichts. Und für die Freiwilligen vor Ort war das etwas völlig normales, mit 30 Leuten am Boden zu sitzen und zu warten. Und warten. Und warten. Im Endeffekt plauderten und lachten wir und die Zeit verging irgendwie dann doch. Dann waren wir endlich im Bus. Also eigentlich kein Bus, eher ein Luxushotel auf Rädern. Man konnte die Sitze ausklappen und zu Liegen umbauen, die bequemer sind als mein Bett zuhause!

We are family

Am nächsten Tag lernte ich dann endlich meine Gastfamilie kennen – aus der erwarteten Mutter-Tochter-Familie wurde eine südamerikanische Großfamilie. Mittlerweile bin ich der Meinung, dass mir nichts Besseres passieren hätte können. Ich habe zwar mehr als eine Woche gebraucht, um zu ergründen, wie viele Leute in unserem Haus wohnen (insgesamt sind es 12) und inwiefern sie verwandt sind, aber mittlerweile kenne ich mich recht gut aus. Es ist immer wer zum Plaudern da und mit 12 Leuten wird einem nie langweilig, das könnt ihr mir glauben! Am Anfang war das echt hart für mich – ich bin so ein enges Familienleben einfach nicht gewöhnt. Wenn ich zum Beispiel sage, dass ich Zahnpasta kaufen möchte, wird daraus gleich ein Familien-Event gemacht und es gehen gefühlte 30 Leute mit mir Zahnpasta kaufen. Aber mittlerweile kann ich es mir anders gar nicht mehr vorstellen, und ich finde es echt schön, mit der gesamten Familie im Garten zu sitzen und Brettspiele oder Poker zu spielen.

Anja in Argentinien
Mein erster Blick auf Cordoba.

Besitzeigentum ist ein Wort, das im Wortschatz meiner Familie nicht vorhanden ist. Alles, was man hat, wird geteilt – das ist echt super, weil es nie unangenehm ist, sich etwas auszuleihen, das man selbst nicht hat. Nur dann kann es halt schon mal passieren, dass man wie ich mitten in der Nacht munter wird, weil die Zimmertür aufgeht und eine männliche Silhouette in der Tür steht. Die Gestalt kam ins Zimmer und schlich um mein Bett herum. Nach dem ich alle Todesängste dieser Welt ausgestanden hatte, entschied ich mich, das Licht einzumachen (wäre es ein Serienkiller gewesen hätte er mich sowieso umgebracht – mit oder ohne Licht). Gott sei Dank war es dann doch nur mein Cousin, der mein Tablet zum Clash-Of-Clans  Spielen wollte.

Das schwierigste für mich war aber mit Abstand das Zurückschalten – von 100 auf beinahe null. Man lebt hier einfach viel mehr in den Tag hinein. Während ich in Österreich um 16 Uhr schon Paniken bekomme, weil der Tag fast um ist und ich noch so viel zu erledigen habe, fängt er hier um die Uhrzeit erst an. Ich habe mir angewöhnen müssen, ungefähr 5 km/h langsamer zu gehen als normalerweise. Stress gibt es hier sowieso nicht. Mittlerweile bin ich viel entspannter als in Österreich – so wie hier alle. Aber vielleicht könnt ihr euch vorstellen, wie schwierig das am Anfang für mich war.

Austria – No Kängurus, only Kuhlimuhs

Könnt ihr euch noch erinnern, dass ich mich in meinem letzten Post über die Vorurteile der Österreicher aufgeregt habe? Ich muss gestehen, dass es hier nicht anders ist. Meine Familie hat mich gefragt, ob wir in Europa jeden Tag duschen – weil wir haben ja so wenig Wasser, dass wir nicht so oft duschen können. Und dass man in Österreich Deutsch spricht, wusste nicht mal mein Geografie-Lehrer.
Dann wäre da noch das Klischee, das alle Austauschschüler kennen. „Ah, Austria! Kangaroos?“ – „No, not Australia. Austria, in Europe.“ – „Aaaaaah, Hitler!“ – Da nehme ich dann doch lieber die Kängurus.

Bis bald,
Pia!