Laura ist eine unserer Stipendiatinnen und als Austauschschülerin mit AFS in Island – hier lesen Sie über Ihre Erfahrungen.

Mein Name ist Laura Fuchs, ich bin sechzehn Jahre alt und ich habe beschlossen ein Jahr oder besser gesagt das Jahr meines Lebens in Island zu verbringen. Island war für mich immer ein Land voller märchenhaften Gestalten und ein großer Traum war, diese mystische Landschaft mit eigenen Augen sehen zu dürfen! Dann kam ich mit der Idee auf, warum nicht ein ganzes Jahr dort zu verbringen und nicht nur als Tourist das Land zu bereisen und oberflächlich die Schönheit der Landschaft zu entdecken, sondern auch in die Kultur des Landes einzutauchen und sie zu erleben, die Traditionen zu feiern, dasselbe Essen zu essen und einen Alltag wie alle Einheimische zu führen!

Meine zwei Gastschwestern und ich an meinem ersten Tag in Island
Meine zwei Gastschwestern und ich an meinem ersten Tag in Island

Mein Start in das Auslandsjahr war allerdings nicht der beste. Ich habe meinen Anschlussflug in Helsinki aufgrund der Verspätung des ersten Flugs verpasst und musste daher eine Nacht ganz auf mich alleine gestellt in Helsinki verbringen. Ich habe mir den ersten Tag definitiv anders vorgestellt, vielleicht aufregend und anstrengend, da man viele neue Sachen erlebt, jedoch nicht kompliziert und nervenraubend. Ich musste mir einen Anschlussflug für den nächsten Tag organisieren, mein Gepäck nach Island bestellen, ein Hotel für die Nacht buchen und mit dem Bus dorthin fahren. Zum Glück ist alles gut gelaufen, nur mein Koffer ist in Helsinki geblieben. Zudem kam ich zu spät zum sogenannten ‚Arrival Camp’ und verbrachte dort nur weniger als einen Tag. Als ich ankam hatten sich schon alle kennengelernt und Gruppen gebildet. Natürlich versuche ich mein bestes, jedoch war es schwer, Teil einer dieser schon vorhandenen Gruppen zu werden. Ich versuchte positiv zu bleiben, obwohl es mir schwerfiel, da ich von Erzählungen hörte, dass diese Tage eine der besten im ganzen Jahr seien, meine diesem Empfinden aber definitiv nicht entsprachen. Trotz dem nicht sehr erfolgreichen Camp, war ich sehr aufgeregt meine Gastfamilie, die ich ja nur von Fotos und Beschreibungen gekannte, endlich wirklich kennen zu lernen. Für mich war diese erste Begegnung ein sehr spannender und schöner Moment, der mich mit den Anfangsschwierigkeiten aussöhnte.

Mit meinen Eltern hatte ich von Anfang an eine sehr gute Beziehung und da ich viel Interesse an der Isländischen Kultur und Natur zeigte, unternahmen wir oft gemeinsame Ausflüge. Da wir viel Zeit miteinander verbrachten wuchsen wir mehr und mehr zusammen. Leider war das mit meinen Geschwistern nicht so einfach. Vielleicht waren sie auch eifersüchtig, da ich einen Großteil der Aufmerksamkeit der Eltern auf mich zog. Mein 15-jähriger Bruder redete mit mir nur das Notwendigste, mit meiner neun jährigen Schwester konnte ich mich nicht wirklich verständigen, da sie nur Isländisch spricht und meine große Schwester war zwar anfangs offen, zog sich aber nach den ersten Wochen zurück, war sehr kalt und sprach ebenfalls kaum mit mir. Ich stellte meinen Geschwistern jeden Tag etliche Fragen, wie der Tag gelaufen war oder was sie an diesem Tag noch vorhätten, jedoch bekam ich nie mehr als ein kurzes, kaltes ‚Gut’ oder ‚Ich weiß es noch nicht’ zurück.

Wochenende machten wir, meine Gastmutter, meine Schwester und mein Bruder, einen Tagesausflug in den Norden von Island.
An meinem zweiten Wochenende machten wir, meine Gastmutter, meine Schwester und mein Bruder, einen Tagesausflug in den Norden von Island.

Sprachlich gesehen machte ich zunächst nur sehr langsame Fortschritte. Nach zwei Monaten konnte ich mich gerade einmal vorstellen und den üblichen Smalltalk führen! Isländisch ist eine wirklich schwere Sprache und sogar Klassenkameraden hatten mir anfangs abgeraten überhaupt zu beginnen die Sprache zu erlernen! Das war zwar nicht gerade motivierend, jedoch versuchte ich trotzdem, so viel Isländisch zu reden wie ich konnte, auch wenn es grammatikalisch nicht korrekt war und der Satz englische Wörter beinhaltete. Oft wurde mir auf Englisch geantwortet, da sie genervt waren, jedoch ich versuchte nicht darauf zu achten und weiterhin mein Isländisch zu verbessern. Nach vier Monaten bin ich jetzt allmählich in der Lage, den Alltagsgesprächen zu folgen und kann mich auch schon mit meiner kleinen Schwester ganz gut unterhalten.

Ich bin in diesen ersten Monaten auch schon viel herumgekommen, im ganzen Norden und auch schon in einigen Teilen des Südens von Island und wirklich, ich habe noch nie eine so unglaubliche Landschaft gesehen! Ich wohne in der zweitgrößten Stadt in ganz Island mit nur 18 tausend Einwohnern und sobald ich die Stadt verlasse, befinde ich mich in reiner Natur. Teilweise, wenn wir auf der Straße fahren, sehen wir kein einziges Haus in einer Umgebung von etlichen Kilometern. Ich habe dabei ein Gefühl von Freiheit, als wäre ich der einzige Mensch auf Erden. Die isländische Landschaft ist genauso, wie sie auf allen Fotografien zu sehen ist, hohe mit viel Geröll oder auch flache, moosbewachsene Berge, in denen sich ungefähr alle hundert Meter ein kleiner Wasserfall, mit glasklarem, trinkbaren Wasser befindet und an manchen Stellen trifft man auf einen großen, gewaltigen Wasserfall, der einfach atemberaubend ist! Die Landschaft ändert sich innerhalb von Metern, zuerst befinde ich mich in einem moosbewachsenen, schwarzen Lava-Feld, wo ich mir gut vorstellen könnte, dass hier Elfen zuhause sind und Minuten später bin ich auf einem Krater mit schwarzen Geröll, das aber an manchen Stellen eine rote Farbe annimmt, da das Gestein sehr viel Eisen enthält.

Askja und die beiden Seen ‚Víti’ und ‚Öskjuvatn’
Askja und die beiden Seen ‚Víti’ und ‚Öskjuvatn’

Da mein Vater als Tourguide arbeitet, hatte ich schon einige Male die Möglichkeit, an Touristentrips gratis teilzunehmen, worüber ich mich natürlich sehr freute. Da in Island alles mindestens doppelt so teuer ist, als ich es aus Österreich gewohnt bin, wäre eine solche Tour fast nicht leistbar. Schon in meiner ersten Woche reiste ich nach Myvatn, meiner Meinung nach einem der schönsten Gebiete in Island. Ich besuchte auch eine Eishöhle und Askja, eine kleine Gebirgskette aus mehreren Kratern, welche einfach atemberaubend ist.

Meine Schule begann zwei Wochen nach meiner Ankunft, aus diesem Grund hatte ich zu Beginn sehr viel Freizeit. Eigentlich erwartete ich mir darunter eine sehr angenehme Zeit, jedoch erwies es sich als eine Herausforderung, da jeder Morgen ein Gefühl von Einsamkeit mit sich brachte und ich mir in diesen Momenten einfach nur wünschte, zu Hause zu sein! Für mich war es ein unangenehmes Gefühl sich in einem fremden Haus daheim zu fühlen, sich beim Kühlschrank zu bedienen als wäre er der eigene, das Badezimmer selbstverständlich zu benutzen etc. Aber nach ca. zwei Wochen hatte ich das Gefühl angekommen zu sein und mich im Haus frei bewegen zu können.

Nach ungefähr einem Monat begann ich mich richtig einzuleben. Ab diesem Zeitpunkt war Island für mich wie ein zweites Zuhause! Natürlich vermisste ich meine Familie und Freunde in Österreich, aber dies war kein Gefühl von Heimweh, sondern nur ein Verlangen sie zu sehen. Anfangs war auch die Schule sehr schwierig für mich. Ich war es von Österreich nicht gewohnt, den ganzen Tag bis vier dort zu verbringen, außerdem war für mich alles fremd. Ich konnte die Sprache weder sprechen, noch verstehen, ich hatte noch keine Freunde und trotz allem erwarteten Lehrer und Eltern von mir eine Teilnahme am Unterricht und gute Noten. Für mich jedoch war es wesentlich wichtiger, meine Energie in das Knüpfen von Freundschaften zu stecken und meine Freizeit mit anderen Jugendlichen zu verbringen, anstatt zu Hause zu lernen.

Eine Wanderung auf den Berg ‚Vindbelgur’ mit einer wunderschönen Aussicht über ‚Myvatnsveit’
Eine Wanderung auf den Berg ‚Vindbelgur’ mit einer wunderschönen Aussicht über ‚Myvatnsveit’

Nachdem ich in den ersten Wochen jeden Tag etwas Neues, Spannendes erlebt hatte, begann sich allmählich mein Alltag zu normalisieren. Jeder Tag hatte den gleichen Ablauf wie der in der Woche zuvor, meine Tagesausflüge beschränkten sich, wenn überhaupt auf das Wochenende und unter der Woche verbrachte ich die meiste Zeit in der Schule. An den Abenden versuchte ich trotz der Müdigkeit Zeit mit anderen Austauschschülern und meiner Familie zu verbringen. Zunächst war ich von dieser „Einkehr des Alltags“ ziemlich enttäuscht. In meiner Vorstellung bedeutete ein Auslandsjahr, jeden Tag etwas Aufregendes zu erleben. In gewisser Weise wartete ich auf ein unglaubliches Ereignis, an welches ich mich mein Leben lang erinnern kann und bei den Gedanken an diese Zeit lächeln muss. Dieses kam jedoch nicht. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ich gerade eben Erfahrungen machen sollte, an die ich mein Leben lang denken würde, da mein Alltag schlichtweg jeden Tag dasselbe war.

Dazu kommt erschwerend, dass Isländer ein sehr kaltes Volk sind, mit denen es sehr schwer ist, wirklich in Kontakt zu kommen. Natürlich gibt es Personen in der Schule mit denen ich gelegentlich Konversationen führe, aber dies war erst nach täglichen Versuchen über drei Monate möglich. In den ersten Monaten war ich sehr auf das Knüpfen von Freundschaften fokussiert, da eines meiner Ziele in meinem Jahr der Kontakt mit Einheimischen war. Ich versuchte möglichst viele Personen anzusprechen, aber schon bald stellte sich dies als sehr Energie raubend heraus.

Wenn ich ein Gespräch aufrecht halten wollte, musste ich meine Klassenkameraden wortwörtlich mit Fragen bombardieren, da sie von sich aus keine stellen. Außerdem bekam ich selten ein ‚Hallo’ zurück, wenn ich Personen, mit denen ich bereits geredet habe, in der Stadt oder in der Schule wiedersah. Für mich war ein solches Handeln unverständlich und ich sah dies als ein Zeichen, dass sie keinen Kontakt mit mir haben wollten.

Sonnenuntergang um halb vier am Nachmittag an der Nordküste Islands
Sonnenuntergang um halb vier am Nachmittag an der Nordküste Islands

Obwohl ich von der isländischen Natur völlig fasziniert bin und jedes Mal, wenn ich das Haus verlasse, wieder etwas Neues, Großartiges entdecken kann, machte mir im Herbst die Kälte der Isländer immer mehr zu schaffen und ich begann mich zu fragen, warum ich ausgerechnet Island und nicht ein südliches Land, wo die Einheimischen offener sind, für mein Auslandsjahr ausgewählt hatte. Die ersten Monate waren für mich eine sehr schwere Zeit, aber mit der Zeit wurde besser, ich lernte neue Leute kennen und verplante meine Freizeit.

Die Austauschschüler der Universität und ich bei einem Tagesausflug zu den schwarzen Stränden in Husavík
Die Austauschschüler der Universität und ich bei einem Tagesausflug zu den schwarzen Stränden in Husavík

Ich begann mehr Zeit mit anderen AFS-Schülern zu verbringen, ich lernte auch Austauschschüler der Universität kennen, und knüpfte Freundschaften mit Leuten, die beschlossen haben ein Au-Pair oder ein soziales Jahr in Island zu machen. Ich wurde zu Studentenfeiern eingeladen, wir kochen gemeinsam, gehen einen Kaffee trinken oder ins Kino. An manchen Tagen treffen wir uns sogar zum Stricken, da dies in Island eine übliche Tagesbeschäftigung ist. Ich begann auch Volleyball zu spielen. Mein Trainer kommt aus Italien und hält aus diesem Grund den Unterricht auf Englisch, was anfangs ein Vorteil für mich war. Da er selber ein Auslandsjahr in seiner Jugend gemacht und ungefähr dasselbe erlebt hatte wie ich jetzt gerade, verstanden wir uns von Anfang an sehr gut und er bot mir an auch außerhalb der Trainingseinheiten etwas zu unternehmen.

Ich bemerkte, dass ein Auslandsjahr mehr als nur das Eintauchen und Kennenlernen einer neuen Kultur ist. Für mich ist es ein unglaublich schönes und spannendes Gefühl, neue Leute aus aller Welt kennen zu lernen und Freundschaften zu knüpfen, die vielleicht ein Leben lang halten. Ich tauche nicht nur in eine Kultur ein, sondern in sehr viele. Jeder, den ich kennen lerne, hat seinen eigenen Charakter und andere Gewohnheiten, andere Sitten, die mir anfangs vielleicht komisch vorkommen, ich aber dann sogar unbewusst übernehme. Es ist wunderschön, Zeit mit Menschen zu verbringen, die ich im Grunde genommen noch gar nicht kenne, aber mit denen ich mich trotzdem auf Anhieb gut verstehe. Vielleicht sogar besser, als mit manchen Freunden aus Österreich. Obwohl ich in einem Land bin, indem die Bewohner sehr kalt und verschlossen sind, bemerke ich, dass ich offener und toleranter werde, Lebensstile die mir nicht gefallen, akzeptiere, mit Leuten eine Konversation beginne, die ich gerade auf der Straße treffe. Außerdem verbrachte ich die letzten Monate viel Zeit mit Gedanken über mein Ich und lernte dabei mich selbst besser kennen.

In der Vorweihnachtszeit beim Lagerfeuer mit Freunden von AFS aus Belgien und Brasilien zu sitzen und zwar frieren aber trotzdem die Zeit genießen – meine Zeit in Island
In der Vorweihnachtszeit beim Lagerfeuer mit Freunden von AFS aus Belgien und Brasilien zu sitzen und zwar frieren aber trotzdem die Zeit genießen – meine Zeit in Island

Zusammenfassend bin ich unglaublich dankbar, dass ich so ein Jahr erleben darf! Meiner Meinung nach ist es ganz egal welches Land man auswählt, man kann überall vielfältige und positive Erfahrungen machen. Für mich ist Island das perfekte Land, auch wenn mir der Kontakt mit Einheimischen nach wie vor sehr schwer fällt und ich in den ersten drei Monaten eine sehr schwierige Zeit durchlebt habe. Jetzt bin ich glücklich aufgrund der Freundschaften, die ich geknüpft habe, der Leute die ich kennen gelernt habe und der atemberaubenden Natur, und kann es auch schon positiv und spannend finden, eine so verschlossene Kultur kennenzulernen. Ich freue mich schon auf die nächsten Monate und vor allem die Traditionen zu Weihnachten und Neujahr erleben zu dürfen!

Laura Fuchs, Akureyri, am 16.12.2017